Was ist überhaupt emotionale Einsicht, und worin besteht der Unterschied zur intellektuellen?
Ich habe das in einem kurzen und anschaulichen Beispiel für meine Patient:innen zusammengefasst:
Wenn du Autofahrer bist, kannst du dich vll erinnern, wie du es gelernt hast. Wie ging das damals vor sich? Zuerst dürftest du gelernt haben, wie man den Motor anmacht, wie durch langsames Gasgeben bei gleichzeitigem Loslassen der Kupplung das Auto anfährt, bremsen, blinken etc. Du lerntest, welche praktischen Regeln im Verkehr einzuhalten sind.
Spätestens mit Abschluss der Fahrprüfung hattest du intellektuelle Einsicht in das Problem „Autofahren“. Du wusstest, wie man es macht. Aber konntest Du wirklich Auto fahren? So wie heute? Musstest du dir damals vor dem Schalten vll noch sagen: „Halt! Jetzt in den nächsten Gang schalten!“ Hast du vll mal den Blinker vergessen, weil du gleichzeitig bremsen musstest? Dein Fahren war vermutlich noch holprig.
Wenn du dagegen heute hinterm Steuer sitzt, fährst du automatisch. Du kannst mit Gefühl bremsen und schalten und dich nebenbei noch mit dem Beifahrer unterhalten.
Dein Know-How hat sich aber gegenüber deiner anfänglichen Fahrpraxis nicht wesentlich geändert. Was heute von früher unterscheidet, ist die durch Übung erreichte emotionale Einsicht in das Problem Autofahren.
Genau dies ist auch der Weg zur Bewältigung emotionaler Probleme. Solange man aber nur intellektuelle Einsicht in die Anatomie der emotionalen Probleme hat, wissen wir zwar, welche irrationalen Gedanken die momentanen Gefühle, Körperreaktionen und Verhaltensweisen verursachen, und evtl. kennst du die rationalen Alternativen, aber du fühlst dich noch wie zuvor. Du denkst rationaler, aber deine Gefühle haben sich noch nicht geändert. Dann hast du noch keine emotionale Einsicht. Dafür müssen im Gehirn erst neue Synapsen angelegt und verknüpft werden. Wie bei jedem Lernprozess. Nur durch Übung erfolgt also die Umprogrammierung von irrationalem zu rationalem Denken.
Das alles braucht Zeit. V.a. weil es nicht nur darum geht Neues zu lernen, sondern alte, falsche Denkweisen umzuschreiben.
